Sediment
2022
Im Jahr 2022 wurde der Lago di Vogorno in der Schweiz für Sanierungsarbeiten an der Staumauer vollständig entleert. Die monumentale Contra Talsperre, auch Verzasca-Staumauer genannt, wurde 1965 fertiggestellt und gilt bis heute als ein technisches Meisterwerk der Schweizer Ingenieurskunst. In Rekordzeit geplant und gebaut, ragt die 220 Meter hohe Bogenstaumauer eindrucksvoll aus dem schmalen Verzascatal – sie zählt zu den höchsten Staumauern Europas und ist ein zentraler Pfeiler der regionalen Stromversorgung.
Diese fotografische Serie konfrontiert uns mit den Folgen eines Systems, das fortwährend abbaut – auf Kosten der Natur, der Artenvielfalt und letztlich unserer eigenen Geschichte. Der leere Stausee wird zur Metapher einer Welt, die sich selbst untergräbt: Indem wir Landschaften transformieren, um Energie zu gewinnen, löschen wir gleichzeitig deren kulturelle und ökologische Identität aus. In dem See versanken rund 70 Gebäude, Terrassen, Felder, die alte Talstrasse und mehrere Brücken – ein halbes Tal verschwand im Wasser.
Welches Erbe hinterlassen wir, wenn wir gehen? Was wächst aus den Ablagerungen des Fortschritts? Was bleibt haften, in der Emulsion, im Bild, in uns? Die monochromen Bilder entstehen tief unten, im Innern des leeren Beckens. Schlamm klebt an den Schuhen, feiner Staub legt sich auf alles. Jeder Schritt hinterlässt Spuren in einer Landschaft, die sonst verborgen liegt. Die Kamera, mit der ich arbeite, ist in etwa so alt wie die Staumauer selbst – ein Werkzeug aus der Zeit des Aufbruchs, als Technik noch Zukunft versprach. Zwischen Staub und Geröll zeichnet sie auf, was übrig blieb. Der Film sammelt Licht, aber auch Öde. Er nimmt auf, was sich nicht mehr bewegt. Terrassen, Pfade, Überreste der Natur – sie wirken wie archäologische Fragmente einer Zivilisation, die vergessen wurde. Die fotografischen Aufnahmen legen nicht nur den Boden, sondern auch eine unbequeme Tatsache frei: Unsere Art zu erschaffen ist auch eine Art der Zerstörung.